Interview mit Fatiha

Fatiha (Interview)

Fatiha ist Einzelkind. Ihre Eltern sind verstorben und sie lebt mit ihren Brüdern im Zentrum Algiers. Bevor sie arbeitslos wurde, war sie Betreuerin für Personen mit geistiger Behinderung im Bezirk Kouba. Der öffentliche Raum erlaubt es ihr, aus ihrem monotonen Alltag auszubrechen, indem sie neue Menschen kennenlernt und neue Beziehungen knüpft. Mit der Zeit sind dieser Raum ihr Zuhause und diese Menschen ihre Familie geworden. Endlich fühlt sie sich frei, so zu sein, wie sie es möchte.

Wie erlebst du den öffentlichen Raum in Algier?

In der Regel verlasse ich das Haus gegen 14:30, nachdem ich bei mir zu Hause geputzt und aufgeräumt habe. Ich bin jemand, die den öffentlichen Raum liebt, ich mag Menschenmengen. Ich setze mich an Orte, an denen es Frauen und Männer gibt und es stört mich nicht, mich an Orten aufzuhalten, die gemäß unseren sozialen Codes hauptsächlich Männern vorbehalten sind. Denn was für mich wirklich zählt, ist mein Wohlbefinden, egal, von wem der Ort genutzt wird. Ich habe mich in öffentlichen Räumen in Algier mit Männern unterhalten, intellektuellen Männern, die verstehen, warum Frauen in die Öffentlichkeit gehen, und zwar aus denselben Gründen wie sie. Ich würde sogar sagen, dass in öffentliche Räume mehr Frauen als Männer gehören, denn wir werden in unserer Gesellschaft und unseren Familien unterdrückt, und das Ausgehen ermöglicht es uns, Stress und Ängste abzubauen. Außerdem hat die Covid-Pandemie wesentlich dazu beigetragen, uns unglücklich zu machen. Zu Hause gibt es nicht viel zu tun, es ist ein geschlossener Raum mit vier Wänden, der öffentliche Raum hingegen ermöglicht es mir zu leben. Wenn ich könnte, würde ich bis Mitternacht in der Öffentlichkeit bleiben!

 

Was hält dich davon ab, bis Mitternacht draußen zu bleiben? Welche Art von Erfahrungen hast du im öffentlichen Raum gemacht?

Die Sicherheit ist für Frauen das wichtigste Anliegen im öffentlichen Raum. Was meine Erfahrungen betrifft, so habe ich im öffentlichen Raum mehr gute als schlechte gemacht. Ich hatte viele schöne Begegnungen, wie du übrigens auch! Ich habe interessante Gespräche mit Menschen geführt, die ich nicht kannte und die später meine Freund*innen wurden. Einmal war da ein sehr nettes junges Paar, sie haben ihr Mittagessen mit mir geteilt und sich um mich gekümmert, sie haben sogar ein Taxi genommen, um mich nach Hause zu fahren, das war so lieb und hat mir echt gutgetan. Ich sage mir, dass es überall gute Menschen gibt und dass das Leben schön ist, wenn man sich auf das Positive konzentriert. Ich bin auch ein sehr neugieriger Mensch und habe keine Angst, auf das Unbekannte und vor allem auf Menschen zuzugehen! Ich gebe zu, dass ich erlebt habe, wie meine Nichten in der Öffentlichkeit belästigt wurden. Männer haben außerdem das Recht, sich nach der Abenddämmerung draußen aufzuhalten. Sie denken, dass es ihr persönlicher Bereich ist und geben dir zu verstehen, dass du als Frau nicht das Recht hast, dich nach Sonnenuntergang dort aufzuhalten, obwohl das in der Religion nicht vorgeschrieben ist. Was mich angeht, sind mir die Blicke und das Urteil der anderen gleichgültig und im öffentlichen Raum möchte ich trotz der vielen Herausforderungen, die ich im Alltag bewältigen muss, frei sein können.

 

Wie war deine Erfahrung mit »Ein Spiel für unseren Platz«? Wie hat sich das Spiel auf dein Leben im öffentlichen Raum ausgewirkt?

Ich fand es toll, wie wir mit den Frauen im Stadtteil Missonnier Domino gespielt haben und die Männer uns bewundernd ansahen! Auch das Spiel im Beirut-Park mit den Würfeln habe ich wirklich genossen und dabei ein schönes T-Shirt gewonnen. Ich habe wunderbare Bekanntschaften gemacht, starke Frauen, die sich um ihr eigenes Wohlergehen kümmern, ohne sich um die Blicke der Leute zu scheren. Wir haben den öffentlichen Raum wirklich zurückerobert, er ist zu unserem geworden. Es hat mir so gutgetan, dass ich mich, als ich nach Hause kam, nicht wie sonst eingeengt fühlte. Es war eine bewegende, bereichernde und intensive Erfahrung. Seit dem Spiel habe ich Lust, mehr im öffentlichen Raum zu unternehmen, beispielsweise ein Picknick zu organisieren. Ich blicke jetzt ganz anders auf den öffentlichen Raum und wünsche mir dort mehr Cafeterien, Restaurants, Eiswagen und natürlich mehr Frauen!