Interview mit Imène
Die dreifache Mutter Imène hat einen Master in Friedens- und Entwicklungsforschung und einen Master in Übersetzung. Sie hat als Lehrerin und als Schiedsrichterin im Volleyball gearbeitet, ein Sport, den sie in der Juniormannschaft des Vereins Mouloudia gespielt hat. Sie ist Mitbegründerin der Firma Permakidz, die im sozialen und im Umweltbereich agiert und Kinder mit der Natur verbinden möchte.
Was treibt dich im Leben an? Gibt es etwas, das du in Algerien gerne ändern würdest?
Ja, da gibt es zwei Dinge. Zum einen wünsche ich mir, dass unser Bildungssystem mehr auf die Lernbedürfnisse und die Autonomie der Kinder eingeht, dass es den Kindern alternative Lernmethoden anbietet, indem es moderne und partizipative Pädagogik miteinbezieht. Kinder müssen raus aus geschlossenen Räumen und hinaus in die Welt. Als dreifache Mutter steht die Erziehung meiner Kinder für mich an erster Stelle.
Zum anderen ist für mich die Bewahrung der Natur und der Umwelt sehr wichtig, indem man verantwortlich konsumiert, weniger Schmutz verursacht und seinen ökologischen Fußabdruck verringert.
Bist du Mitglied eines Kollektivs oder eines Vereins? Wenn ja, was sind dessen Visionen, Ziele und Werte?
Ich bin Mitglied im Verein Torba, der zu gesundem Essen und zum bewussten Produzieren sensibilisieren möchte und für die Selbstversorgung mit Lebensmitteln wirbt. Außerdem bin ich Mitglied im Kollektiv „H’na“ „Lasst uns autonom wohnen“, dessen Ziel es ist, in Harmonie mit der Natur zu leben.
Zudem habe ich das soziale Unternehmen Permakidz gegründet, das zu seinen Grundwerten den Schutz der Lebewesen, des Menschen und die gerechte Aufteilung natürlicher Ressourcen zählt. Wir möchten ebenfalls Kinder (aber nicht nur) mit der Natur zusammenbringen, sie zur Autonomie erziehen und so die umweltbewussten Bürger*innen von morgen bilden.
Bist du eher mit dem Auto oder zu Fuß unterwegs? Wie oft bist du wöchentlich im öffentlichen Raum?
Früher habe ich in der Nähe des Zentrums gelebt und war viel zu Fuß unterwegs, aber seit einigen Jahren wohne ich außerhalb der Stadt, da bin ich komplett auf das Auto angewiesen. Ich bin fast täglich im öffentlichen Raum unterwegs, vor allem in meiner kleinen Gemeinde von Souidania und wenn ich zu den Behörden muss.
„Die Nutzung des öffentlichen Raums beruht auf geschlechterbasierten Normen. Männer und Frauen bewegen sich innerhalb der Stadt nicht auf die gleiche Art und Weise, besuchen nicht dieselben Orte, haben nicht dieselben Aufgaben und sind nicht mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert.“ Stimmst du mit diesen Äußerungen überein? Wie erlebst du als Frau den öffentlichen Raum?
Ich bin ganz und gar einverstanden, die Normen sind in unserer Gesellschaft ganz klar. Einige Orte wie traditionelle Cafés sind z. B. Männern vorbehalten. Auch die Tageszeiten spielen eine Rolle, nachts ist man besser nicht allein auf der Straße. Man kann sagen, dass der Freitag ein ausschließlich männlicher Tag in den Straßen von Algier ist.
In letzter Zeit fühle ich mich vor allem beim Autofahren durch Männer belästigt, manchmal hat man das Gefühl, die Straße wäre „ta3 babahoum“, „gehört ihrem Vater“, wie man so schön sagt.
Einmal war ich mit einer Freundin im Wald von Bouchaoui unterwegs, wir wollten dort an einer Zoomkonferenz teilnehmen, hatten also unser Laptop und unsere Telefone auf dem Tisch, als ein junger Mann sich zu uns saß und uns um Hilfe (also Geld) bat, er war wirklich sehr aufdringlich und schien nicht ganz bei Bewusstsein zu sein. Meine Freundin hat es dann geschafft, ihn auf sehr diplomatische Art und Weise loszuwerden.
Ich habe einmal eine sehr negative Erfahrung gemacht, die dann doch zu einer positiven wurde. Während des Ramadans war ich mit den Kindern (vier Kinder) am Strand von Sidi Fredj und mir wurde mein Rucksack gestohlen, in dem sich meine Autoschlüssel, mein Portemonnaie und mein Telefon befanden. Ein Familienvater hat mir sein Telefon angeboten, damit ich meine Familie erreichen kann, und auf dem Weg zum Parkplatz hat ein alter Mann auf seinem Moped angeboten mit mir zu warten, da die Straßen bei Sonnenuntergang immer leerer werden.
Wie würdest du den idealen öffentlichen Raum in Algier beschreiben? Was wünscht du dir?
An schönen Orten wie öffentlichen Plätzen, Parks, Straßen, Wäldern oder am Meer ist die Ästhetik sehr wichtig, auch die Sauberkeit, es sollten also genügend Mülleimer vorhanden sein. Ich wünsche mir auch mehr öffentliche Toiletten für Frauen, gut beleuchtete und gut eingerichtete Straßen, öffentliche Versammlungsräume, frei verfügbare Bücherkisten, genügend Sitzbänke für alle, ein paar freundliche Wörter am Eingang von Gebäuden und Regeln, die von allen beachtet werden.
Meinst du, dass der Hirak in dieser Hinsicht eine Rolle gespielt hat?
Ich bin nur ein einziges Mal zum Hirak gegangen, aber ich denke, dass ein großer Fortschritt darin besteht, dass alle Algerier*innen, Familien, junge Menschen, sich den öffentlichen Raum angeeignet haben. Dennoch muss gesagt werden, dass dieses enge Beieinandersein von Geschlechtern nicht immer problemlos verlief. Die Tatsache, dass die Demos am Freitag waren, hat auch Frauen ermöglicht, daran teilzunehmen.
Die ganze Welt wurde durch Covid durcheinandergebracht, wie hat sich deine Beziehung zum öffentlichen Raum dabei geändert?
Covid und der Lockdown haben meine Aktivitäten und mein Leben in der Öffentlichkeit stark eingeschränkt, vor allem aber für die Kinder, da Kinder unter 16 nicht in die Läden durften. Durch den Lockdown wurden nicht nur viele Menschen gezwungen, zuhause zu bleiben, viele fanden sich auch in sehr prekären Situationen wieder, wurden arbeitslos oder hatten nichts mehr zu tun. Andere waren tagtäglich Gewalt ausgesetzt, und da die Menschen und insbesondere Frauen sowieso Angst hatten, zum Arzt zu gehen, wie hätten sie es da geschafft, die Täter anzuzeigen und diesem Teufelskreis zu entgehen? Ich persönlich fühle mich zuhause am wohlsten und am meisten respektiert.
Ich halte mich am meisten in der Küche und im Wohnzimmer auf (ich bin jetzt gerade auch in der Küche). In der Küche verbringe ich viel Zeit mit Kochen, danach nutze ich ein bisschen die ruhige Zeit und bin am Telefon oder im Internet. Das Wohnzimmer nutze ich vor allem, um gemütlich an meinem PC zu arbeiten.
Kannst du dir vorstellen, an einem öffentlichen Ort am Spiel „Ein Spiel für unseren Platz“ teilzunehmen?
Ich spiele sehr gerne. Seitdem ich klein bin, habe ich nie aufgehört zu spielen, in der Nachbarschaft bis ich 14 war, dann jeden Sommer Beachvolleyball am Strand, am Gymnasium und in der Uni war ich Mitglied in der Volleyballmannschaft. Meinen Kindern zeige ich immer, was ich als Kind gespielt habe. Also sehr gern!