Interview mit Fatima

Interview Fatima

Fatima, die aus einer sehr konservativen Familie stammt, hat in ihrem Leben Entscheidungen getroffen, die nicht immer den Erwartungen ihrer Familie entsprachen, insbesondere die Entscheidung, arbeiten zu gehen. Sie lebt und arbeitet in Algier als Marketingleiterin in einer Firma.

Hallo Fatima, danke, dass du mit uns deine Erfahrungen als Frau im öffentlichen Raum schildern möchtest. Gibt es denn Dinge, die du in Algerien gerne ändern würdest?

Es gab eine Zeit in meinem Leben, wo ich viele Dinge in Algerien ändern wollte. Heute konzentriere ich mich auf mich selbst und arbeite an mir selbst, denn ich habe verstanden, dass man die Mentalitäten nicht verändern kann. Meine Rolle ist es, an mir selbst zu arbeiten, als Person voranzukommen und mich zu akzeptieren, und nicht ständig im Widerstand zu stehen. Dennoch denke ich, dass die Erziehung innerhalb der Familie und das Bildungssystem innerhalb der Gesellschaft sehr stark die Art und Weise prägen, wie wir das Leben, im Privaten wie auch in der Öffentlichkeit, betrachten.

Meinst du, dass Frauen und Männer dieselbe Rolle im öffentlichen Raum zukommt? Wie erlebst du den öffentlichen Raum?

Im Allgemeinen beschränkt sich mein Alltag auf die Arbeit und die Zeit zuhause. Wegen der Blicke der Menschen vermeide ich es, Zeit außerhalb zu verbringen. Wenn, dann suche ich mir Orte aus, wo ich mich nicht beobachtet oder sogar verurteilt fühle. Orte, an denen ich ich selbst sein kann, ohne darüber nachzudenken, was andere über mich denken. Am wohlsten fühle ich mich an Orten, an denen man mich nicht kennt.

Was die Rollen angeht, denke ich, dass Männer und Frauen den öffentlichen Raum unterschiedlich nutzen. Männliche Energie ist zum Beispiel mehr auf Schutz, weibliche Energie eher auf Kreativität ausgerichtet, wir ergänzen uns also. Was mich in unserer Gesellschaft an meisten empört, ist der Sexismus, also zu denken, dass ein Geschlecht dem anderen überlegen wäre. In unserer Gesellschaft ist es in der Regel der Mann, der den Vorrang hat und das spiegelt sich auch im öffentlichen Raum wider, der vor allem männlich geprägt ist. Es gibt auch viele Orte, die gar nicht von Frauen besucht werden, denn das wäre ja schlecht angesehen, wie z. B. die traditionellen Cafés. Ich betrachte den öffentlichen Raum als einen Spiegel der intimen Beziehungen zwischen Mann und Frau im privaten Raum.

Was fehlt deiner Meinung nach den Frauen im öffentlichen Raum von Algier?

Was am meisten fehlt, ist die Sicherheit, sei es tagsüber oder nachts. Ich habe festgestellt, dass allein der Umriss des Körpers einer Frau in der Nacht schon problematisch ist, auch wenn man ihr Gesicht nicht im Detail sieht. Es ist wirklich verrückt, wie gewisse Orte in Algier, die man tagsüber besucht, nachts wirklich unsicher für Frauen werden. Wenn du aber in Begleitung eines Mannes bist, sieht es schon anders aus. Männer werden Tag und Nacht, Winter und Sommer respektiert, das ist für mich als Frau nicht der Fall.

Ich versuche zwar mir einzureden, dass ich allein für mich selbst lebe, und dass mich die Meinung der Leute da draußen nichts schert, aber es ist echt schwer, seine Umgebung völlig auszuschalten. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass es in Algerien deiner Kleider sind, die dich ausmachen, als würdest du dir den Respekt im öffentlichen Raum durch deine Kleidung verschaffen. Alles wird daran festgemacht. Im Viertel, in dem ich arbeite, würde man mich als nicht-respektable Frau ansehen, wenn ich kein Kopftuch tragen würde. Deine Kleidung ist dein Status, leider, und das zieht einen sehr runter.

Gibt es positive oder negative Erfahrungen im öffentlichen Raum, die du gerne mit uns teilen möchtest?

Ich arbeite mit vielen Menschen und manchmal kommt es vor, dass Männer Grenzen überschreiten, einfach nur, weil ich eine arbeitende Frau bin. Sie meinen, dass ich dadurch keinen Respekt verdiene, so etwas ist mir vor zwei Tagen passiert. Wenn das in der Öffentlichkeit passiert, ist es noch schlimmer, dann ist immer die Frau schuld, Männer hingegen nie. Es geht immer um die Ehre der Frau, die die Männer auf völlig verzerrte Weise wahrnehmen. Emotional ist das wirklich schwer auszuhalten! Wir Frauen müssen viele Hürden überwinden, sei es im privaten oder im öffentlichen Raum.

Andererseits meine ich, dass man sich nicht nur auf das Negative konzentrieren sollte, denn dadurch macht man es nur größer. Es wäre gut, auch die positiven Aspekte zu sehen, der Hirak hat zum Beispiel zu Beginn den Frauen frischen Wind gebracht, eine neue Art und Weise, in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen. Irgendwann haben wir uns einfach den öffentlichen Raum angeeignet, das war wunderschön, wir wurden genauso wie die Männer respektiert. Wenn wir es also einmal geschafft haben, schaffen wir es nochmal!

Die Pandemie hatte auch ihre positiven Seiten. Irgendwann sind sich die Männer bewusst geworden, welchen Wert die Frau hat und welche Rolle sie zuhause spielt, sie konnten also nachempfinden, wie der Alltag einer Frau ist.